KIRGISTAN / PIK LENIN (7.134 M)

Published by Klaus Plattner on

Vom Winde verweht

Alte Liebe neu entfacht, Kirgistan, ein Land der Kontraste. Ist der Norden des Landes vom städtischen Einfluss der Hauptstadt Bishkek geprägt, so findet man im Süden das, was man erhofft: Naturverbundene Semi-Nomaden, die voller Lebensfreude sind und uns mit warmherziger Gastfreundschaft empfangen.

FÜR mich DER VORSTOSS IN EINE NEUE DIMENSION DES ALPINISMUS

Das alpinistische Ziel der Reise bestand darin, den 7.134 Meter hohen Pik Lenin zu besteigen, den höchsten Berg der Transalai-Kette im Pamir. Der Berg ist ein bergsteigerisch, technisch eher einfacher Siebentausender und die Hauptschwierigkeit „beschränkt“ sich auf die Höhe. Vorab, wir haben den Gipfel nicht erreicht und bin dennoch, für mich, in neue Dimensionen vorgestoßen.
Den kurzen Stopover in Istanbul nutzt man zu allem, was man sehen und kaufen kann oder sollte, bevor es weiter gen Bishkek ging. Allen unseren Befürchtungen zum Trotz war alles Gepäck angekommen und wir im Land der Abenteuer und unzähliger „Virgin Peaks“.
Nachdem alle Formalitäten am Flughafen erledigt waren, erwartete uns schon das Shuttle, welches uns nach Osh bringen sollte. Die Strecke musste mit dem Fahrzeug bewältigt werden, da der Inlandsflug nach Osh ausgefallen war. Die zu erwartende Fahrzeit von Bishkek nach Osh, das sind knappe 700 Kilometer, betrug 12 Stunden. Trotz der Fahrweise, welche oft Schweißausbrüche mit sich brachten, konnte man die wunderschöne Landschaft trotzdem genießen.
In Osh angekommen, wurde für eine Nacht ein Hotel bezogen. Nach dem Frühstück ging die Fahrt über den Pamir Highway ins 3.600 m hohe Base Camp (Achik-Tash). Letztendlich war nach einer abenteuerlichen und fünf Stunden langen Fahrt der überwältigende Blick aus dem Hochland auf eine majestätische Bergkette und einen beeindruckenden Gipfel: – Pik Lenin, das Ziel, das schon so nahe schien und doch so weit weg war.
Die ersten Tage im Camp vergnügten wir uns mit leichten Spaziergängen bzw. Touren bis maximal 4.300 Meter. Hier wurde der erste Gipfel, nämlich der Pik Petrowskij (4.319m) bestiegen. Die Farbenvielfalt ist überwältigend und wir waren dementsprechend überwältigt: grün, rot, braun und die weiße Gletscherwelt. Neben den Akklimatisierungstouren, wurde gechillt, genossen, gegessen und ausgiebig geschlafen.

ADVANCED BASECAMP (ABC) – 4300 M

Dann war der Tag der Weiterreise: die lokale Nomadenfamilie übernahm den Transport des Gepäcks, die genauestens abgewogen und verrechnet wurden. Mit der Trägerfamilie schlossen wir schnell eine herzliche Freundschaft.
Nach den letzten Fettbällchen und Milchreis von Svetlana ging es los zur Zwiebelwiese, vorbei an dem Gedenkfelsen und -Schildern für die Zahlreichen, die nicht mehr zurückgekehrt sind. Dann über den Traveller-Pass und schließlich ins 4.300 Meter hohe Advanced Base Camp.
Das richtige Camp zu finden war zugegebenermaßen gar nicht so einfach, da schon zahlreiche andere Expeditionen ihre Lagerplätze errichtet hatten. Wir wurden erneut herzlichst empfangen und der Koch versorgte uns mit einer leckeren Zwischenmahlzeit sowie Powertee. Neben viel trinken, Lager beziehen, ausruhen, wieder trinken und Essen, passierte erst mal nicht sonderlich viel. Waren wir doch, durch das immer imposanter wirkende Gletschergebilde vor uns überwältigt, und die Höhe trug zusätzlich ihren Teil bei. Am Folgetag unternahmen wir unsere Tour auf den Pik Iochina (5176 Meter).
So war der Tagesablauf meist ähnlich, morgens früh eine kleine Tour, in der Sonne braten, organisieren, kleine Körperhygiene (wie eigentlich die ganzen drei Wochen), trinken und essen. Die zunehmende Höhe und Abgeschiedenheit ließ das Essen zwar in keinster Weise eintönig werden, allerdings hielt sich die Abwechslung in engen Grenzen: Kohl gehörte immer dazu. Aber auch dieses Erlebnis sollte noch durch die kommende Tütennahrung getoppt werden… Der tägliche Austausch mit unseren Trägern aus dem Basecamp wurde ebenfalls schnell zum festen Programmpunkt. Sie konnten keinerlei Englisch und wir weder Russisch geschweige denn Kirgisisch.
Doch wir hatten Zeit, saßen zusammen in der Jurte, und genossen die Zeit zusammen.

HOCHLAGER 1

Zum nächsten Lager (5.400 Meter) gingen wir zweimal, einmal um uns zu akklimatisieren und um unser Gepäck in Etappen nach oben zu bringen. Das „verspätete“ Aufstehen um 3 Uhr sollte sich jedoch als folgenschwerer Fehler herausstellen. Die sogenannte „Pfanne“ im letzten Teil der Strecke raubte uns in der Hitze die letzte Kraft. Hier sollten wir in Zukunft bei anderen teilweise verehrende Erschöpfungszustände beobachten.
Wir hatten gelernt und waren beim zweiten Mal früher unterwegs. Im Lager angekommen, schafften wir es gerade noch, mit letzter Kraft ein Plateau zu schaufeln, das Zelt zu beziehen, Schnee zu schmelzen und eine Kleinigkeit zu essen. Obwohl lohnend, hatte uns diese Tour allen sehr zugesetzt und die letzte Stunde, wo wir zum Lager mussten, forderte die letzten Reserven. Aber wir konnten den restlichen Tag dann wieder trinken, essen, schlafen, oder einfach nur sein, – mehr ging auch nicht.
Die letzte Tour hatte uns gezeigt, wie wichtig Gewichtsreduktion ist. Es wurde aussortiert und jedes Teil nochmals in die Hand genommen und überdacht. Der Folgetag war von der entspannten Sorte: wir unternahmen lediglich eine kleine Tour, um uns ein wenig die Beine zu bewegen.

AUFSTIEG HOCHLAGER 2

Wir waren in der Besteigungssaison, aber so langsam bemerkte man die Nervosität und Anspannung auch in den anderen Lagern. Die Gedanken konzentrierten sich bei mir auf den kommenden Tag: sollte es wieder so ein harter Aufstieg bis zur Erschöpfung werden? Diese Etappe ist, wenn man das überhaupt so nennen kann, die technisch Schwierigste und ausgesetzteste. Hier kann man so einiges beobachten und sehen, was Leute denken sich mit Geld alles kaufen zu können.
Auf andere zu hören und sich beraten ist hier schwierig, denn das Knowhow ist oftmals wenig seriös und beschränkt sich aufs gefürchtete „geht schon“. Man tut also gut daran seine Strategie selbst zu wählen.
Wir bewältigten die „kritische Zone“ schnellstmöglich und befanden uns auch schon bald wieder in der Pfanne. Dieses Mal war es zwar ebenfalls kein Spaziergang, aber es ging schon viel besser.
Am Tag darauf waren meine Kopfschmerzen vom Vorabend verschwunden und ich fühlte mich prächtig. Wir stiegen bis ca. 5.800 Meter, bei bitterkaltem Wind und genossen trotzdem die wunderbare Aussicht. Am kommenden Tag sattelten wir uns wieder auf und kämpften uns mit schwerem Gepäck ins Hochlager 3. Wir fühlten uns gut und so gingen wir nach dem ersten Etappenziel auf 5.800 Metern noch eine Stufe weiter zum Pik Rasdelnaja (6.118 Meter)
Die Nacht war stürmisch und schneereich und so waren wir froh, als wir das recht exponierte Lager verlassen konnten. In dieser Nacht gab es bedauerlicherweise einen Schwerverletzten, der in eine Gletscherspalte gestürzt war.

LAGER DREI – DIE ENTSCHEIDUNG

Der Aufstieg ins Lager drei gestaltete sich aufgrund des vielen Neuschnees als sehr mühsam. Es war an uns die Spurarbeit zu übernehmen und bis wir uns nach oben gewühlt hatten, vergingen Stunden.
Der kommende Tag war klar, stürmisch und bitterkalt. Da der Besteigungsversuch für den nächsten Tag anberaumt war, die Wetterbedingungen aber alles andere als gut waren, entschieden wir uns, die Besteigung einen Tag früher in Angriff zu nehmen.
Um 01:00 Uhr sind wir der Reihe nach aufgestanden, haben schnell die Kocher angeworfen, um Tee zu kochen bzw. unsere Wasservorräte aufzufüllen und auch ein schnelles Frühstück zu uns zu nehmen. Um 02:00 Uhr begann der Aufstieg. Von unserem Lager ging es erstmal gute 100 Höhenmeter abwärts, in eine Scharte, vor dem der Anstieg beginnt. Es folgten gute 400 Höhenmeter extrem steiler Anstieg in feinem Schotter- und Erdgelände. Da der Schotter gefroren war, waren die Steigeisen ziemlich hilfreich. Zum Glück konnten wir im Dunkeln nicht wirklich sehen, wo und wohin wir unterwegs waren… gute 2 Stunden benötigten wir für diese erste Steilstufe.
Im Dunkeln gehen ist immer eine eigene Erfahrung! Man „stolpert“ so vor sich hin, bekommt nicht wirklich viel mit vom Gelände, Steilheit und auch das Zeitgefühl geht – zum Glück – verloren… So machten wir ca. jede Stunde eine kurze Trink- und Verschnaufpause und schraubten kontinuierlich nach oben Richtung Gipfel. Bald kamen wir zum sogenannten „Messer“, der Schlüsselstelle des Anstieges auf einer Höhe von ca. 6600 Meter.
Das „Messer“ ist ein steiler, scharfer Schneegrat, den es zu überwinden gilt. Ca. 60-70 Höhenmeter, die mit Fixseilen versichert sind. Nun kamen endlich auch die ersten Sonnenstrahlen zu uns. Die Stunden vor dem Sonnenaufgang sind die kältesten Stunden der Nacht und somit ist jeder Sonnenstrahl willkommen! Und wir spürten jeden einzelnen dieser Strahlen.
Weiter ging es nun in einer langen, stellenweise ausgesetzten Traverse, bis wir die letzten langen Hang bis zum Vorgipfel erreichten. In dieser Höhe geht man nur mehr automatisch. 10 Schritte, und man benötigt wieder eine Pause. 1 Schritt – 1 Atemzug. Weiter oben dann, und nach so vielen Höhenmetern, sind es wohl 2 oder sogar 3 Atemzüge pro Schritt!!! Man hechelt bzw. hyperventiliert… was natürlich für die Lunge auch besonders anstrengend ist.
Aufgrund des ungünstigen Wetters, und dem immer stärker werdenden Wind mussten wir leider zu Kenntnis nehmen, dass es keinen Sinn mehr machte, den letzten Kilometer zum Hauptgipfel zu gehen. So entschlossen wir uns auf 7045 Meter umzukehren.
Wir wussten natürlich, dass der Rückweg lang ist und ebenfalls Kräfte raubend!
Gemeinsam starten wir in den langen Rückweg! Hat der Aufstieg ca. 10 Stunden gedauert, benötigen wir für den Rückweg 5 Stunden… am anstrengendsten natürlich der lange Gegenanstieg von der Scharte bis zu unserem Lager, das wir zwischen 16:30 und 17:30 wieder erreichen. Erschöpft, aber natürlich entsprechend glücklich. Immerhin sind wir inklusive Gegenanstiege ca. 1100 Höhenmeter auf- und abgestiegen und haben 15 km hinter uns gebracht, in Höhen von bis zu 7000 Meter.
Allerdings war dieses Glück nicht von langer Dauer. Der Wind verwandelte sich in einem Sturm mit Spitzen bis zu 90 km/h.
Absolut erschöpft verbrachte ich eine schlimme Nacht auf 6.100 Meter bei Sturm, eisigen Temperaturen und mehrmaligem Zelt freischaufeln.
Ich fühlte mich mehr im Trance als klar und konnte so gut wie kein Essen mehr aufnehmen, geschweige denn schlafen, eher vegetieren.

DEN GIPFEL VERPASST UND TROTZDEM ALLES RICHTIG GEMACHT

Bei der Ankunft im Lager haben wir zum Glück richtig entschieden und sind nicht weiter gen Lager zwei abgestiegen, den Fußweg hätten wir nicht mehr geschafft. Das frisch gekochte Essen mussten noch warten. Wir „genossen“ eine letzte gemeinsame Tütenmahlzeit. Hat am Anfang noch jeder eine Tüte verzehrt, so war es zum Ende hin mit Zwingen eine für vier, wir waren reif für Abwechslung.
Da es in der Nacht wieder ein wenig schneite, hatten wir am nächsten Tag eine kleine Flaumauflage und perfekte Bedingungen auf unserem Weg zurück in die „Zivilisation“ des ABC.
Die Freude über unsere unversehrte Ankunft war groß: Der Koch gab alles in der Küche und wir alles beim Leeren der Töpfe.
Den kommenden Tag gestalteten wir erwartungsgemäß ruhig, versuchten die nächsten Tage zu organisieren und die müden Glieder auszuruhen. Nach dem die Verabschiedungstour erledigt war sowie das viele Material verstaut war, waren wir bereit für neue Abenteuer sowie den letzten Abend und Sonnenuntergang im Base Camp.
Wie sich zeigte, sollte auch noch etliche weitere Tage kein Wetter für eine Besteigung in Frage kommen.
Nun freuten wir uns riesig neben den ganzen Camps und Besteigungsgeschichten noch das Leben der Seminomaden besser kennen zu lernen.
Unser Ziel war ein entlegenes Tal, das lediglich auf dem Pferderücken oder zu Fuß zu erreichen ist. Die Menschen Leben von der Käseproduktion und von ihrem Vieh, was sie von Zeit zu Zeit auf Wochenmärkten verkaufen.
Um die Stunden bis zur Abfahrt nach Osh zu nutzen, unternahmen wir einen kleinen Spaziergang, der dann doch nicht ganz so kurz war, aber dafür wunderschön und eine würdige Verabschiedung des Pamir.
Diesmal ging es von Osh nach Bishkek mit dem Flugzeug. Welch eine Erleichterung. In Bishkek angekommen, erkundeten wir alles was die Stadt zu bieten hatte, feilschten auf dem Markt, mampften Fettbällchen und waren bereit für die besten Schaschlickspieße ever, Unmengen an Salaten, Pommes und sonstigen Leckereien.
Der Rückflug von Bishkek über Istanbul nach München verlief ruhig und so war ich doch froh, wieder in der Heimat zu sein.

DANKE

Ich bedanke mich bei das Besteigungsteam, Roger, Markus, Pasqual und Claude. Aus einer Idee wurde eine Vision, aus der Vision wurde Realität. Widrigen Bedingungen haben wir getrotzt, schwierige wie auch glückliche Stunden gemeistert und erlebt.
Ein ganz besonderer Dank geht an meine Freunde der HG Gipfelstürmer, für die Zuwendung und Unterstützung.
Für eine grandiose Zeit und für die vielen schönen geteilten Momente. All das und noch viel mehr werde ich nie vergessen, vielen Dank.

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