Den Pfeiler gewalkt!
Am Freitag geht es für uns – nach unseren wöchentlichen Verpflichtungen – auf direktem Weg nach Chamonix. Aufgrund meiner zeitlichen Gegebenheiten dieses Mal nur für einen 4-Tages-Trip. Normalerweise schlafe ich (routinierter Beifahrer) bereits nach den ersten Kilometern. Mein Seilpartner und Autofahrer fährt hingegen unzählige Kilometer, um uns, zu unseren bergsteigerischen Zielen, zu kutschieren. Diesmal waren unsere Gespräche so spannend, dass uns erst das „STOP – Fehler im Bremssystem“ aus unserem regen Gedankenaustausch riss. Anfangs stoppte ich die Intervalle, in der Hoffnung auf einen Wackelkontakt. Jedoch brachte uns der penetrante Warnton sehr schnell aus der Ruhe, welcher uns zu einem „Notbiwak“ ca. 20 km vor Chamonix zwang. Am Vormittag waren wir mit dem in Gang setzen der Rettungskette – genauer gesagt dem Abschleppdienst, beschäftigt und vertrieben uns die Zeit mit Drytool-Acrobatic – gar nicht so einfach mit den Nordwand-Geräten.
Gegen Mittag standen wir mit unserem nicht fahrbaren – fahrbaren Untersatz in Les Houches bei der nächstgelegenen, einzigen Autowerkstatt. Diese wird von den Frenchies liebevoll als „garage“ bezeichnet. Samstag – Mechaniker? Fehlanzeige! Repariert wird erst wieder am Montag, doch da sollten wir doch am Berg sein? (also mussten wir uns um die Reparatur am Montag, an welchem wir am Berg sein werden kümmern. )
Aber wer sind wir und was haben wir überhaupt vor?
Wir sind Benjamin Zörer und ich, Egon Egger. Vor einigen Wochen wurden wir von einem Innsbrucker Gipfelstürmer zu einer Wochenkneipe als Gäste eingeladen und haben sofort gefallen an der Kameradschaft und den Berggeschichten der eingefleischten Truppe gefunden. Seitdem sind wir mehr oder weniger regelmäßig bei den Kneipen, derzeit noch als Gäste, mit dabei. Mehr oder weniger regelmäßig, da wir am Dienstag oft noch in steiler Wand hängen und es so oft leider nicht rechtzeitig zur Kneipe schaffen. Umso mehr freut es uns, einen Bericht für die Homepage der Gipfelstürmer, von unserer Tour machen zu dürfen. Und obwohl die Anreise für sich schon Abenteuer genug war, haben wir währenddessen nie unser eigentliches Ziel aus den Augen verloren: Walkerpfeiler auf die Grandes Jorasses.
Sonntag – Wir fuhren mit der ersten Montenversbahn in Richtung Mer de Glace. Nach dem, für die nächste Zeit letzten Besuch auf dem WC, starteten wir im Mittelfeld vieler anderer Seilschaften und Gruppen auf dem Mer de Glace in Richtung Grandes Jorasses. Aufgrund eines Verhauers der vorangehenden Seilschaft, konnten wir uns innerhalb kürzester Zeit an die Spitze absetzen und wir waren für die nächsten Stunden allein am Zustieg. Was für eine atemberaubende Kulisse – für uns Nordtiroler immer wieder eine andere Dimension. Der Fußmarsch in Richtung Jorasses ist sehr einladend. Mit wenig Steigung und keinen großen Spalten gestaltete sich der Marsch echt freundlich und wir waren recht flott. Lediglich die Sèracs unmittelbar unter der Wand, sowie der Bergschrund machten uns etwas zu schaffen.
Am Einstieg wollten wir nicht viel Zeit verlieren und einigten uns darauf, die ersten Längen bis zum Rebuffat-Riss am laufenden Seil zu klettern. Die Längen vergingen wie im Flug und wir nutzten das Licht der Sonne um einen möglichst großen Fortschritt in der Nordwand zu machen. Weder große Verhauer noch sonstige Zwischenfälle ergaben sich, was unseren Fortschritt enorm erleichterte. Da wir aus vorherigen Touren den Nutzen von genügend Wasser und Nahrung zwischendurch lernten, konnten wir unser Tempo recht lange aufrechterhalten. Schlussendlich zwang uns die Dunkelheit, einige Seillängen nach dem grauen Turm, unser Nachtquartier zu beziehen.
Die ersten eineinhalb Stunden konnte ich erstaunlicherweise sehr gut schlafen – die Kombination aus Löffelstellung-Sitz-Liegebiwak auf einem Felsriegel, etwas schmaler als meine Isomatte, schien genau mein Ding zu sein. Benjamin war leider nicht so mit Schlaf gesegnet – er spielte noch einige Zeit mit dem mitgebrachten GPS-Gerät und genoss vegetarische Fruchtgummis – wie wir es schon von einem Biwak aus der Marmolada Südwand kannten.
In der Früh startete ich mit der Führung, wieder kletterten wir am laufenden Seil bis wir auf eine italienische Zweierseilschaft trafen. Benjamin wechselte aufgrund seiner kalten Zehen vom Kletterpatschen auf die Bergschuhe. So kletterten wir zügig weiter. Selbst der Rote Kamin oder die nachfolgende Platte konnten Benni in seinen Bergschuhen nicht aus der Ruhe bringen. Knapp unterhalb vom Roten Turm überholten wir eine deutsche 3er Seilschaft. Benni führte die letzte Seillänge und so stieg ich um 9:00 Uhr am Pointe Walker aus. Belohnt wurden wir mit einer grandiosen Aussicht in und auf das Mont-Blanc-Massiv.
Nach einer kurzen Stärkung und etwas geschmolzenem Wasser (welches sich als viel zu wenig herausstellte) machten wir uns auf den Abstieg. Ein langer und alpinistisch anspruchsvoller „Hatscher“ durch beängstigend große Sèracs und Spalten.
Einige Stunden später saßen wir in Courmayeur bei Pizza und Bier – verdient! Mit dem Flixbus und einer Grenzkontrolle an der französischen Grenze ging es zurück nach Chamonix – wo wir bereits von einem Freund erwartet wurden. Er hat uns freundlicherweise zu einem Schlafplatz gebracht, da unser Auto ja immer noch als Patient in der „Garage“ zu Gast war.
Langsam wurde die Zeit knapp: Das Auto immer noch nicht repariert und ich musste am Mittwoch wieder in Innsbruck sein – die Arbeit ruft. Benjamin besprach am Dienstag noch diverse Angelegenheiten mit der „Garage“ und ich saß bereits im Flixbus, um wieder rechtzeitig in Innsbruck zu sein – 16h Busreise mit Umstieg in Mailand.
Benjamin hatte am Dienstag Abend noch einen befreundeten, griechischen Bergführer getroffen und konnte – während ich diesen Bericht verfasste – mit ihm und unserem Material wieder zurück nach Innsbruck fahren. Benni`s Auto darf in der Zwischenzeit noch das aufregende Chamonix-Feeling genießen bis es, hoffentlich bald, wieder zurück nach Österreich geschleppt wird. Alles in allem spannende, aufregende 4 Tage die ich nie vergessen werde.
(Egger Egon u. Zörer Ben – Gipfeler Aspiranten in Spe)