Noshaq – Höhenweltrekord im Drachenflug

Published by Rupert Geiswinkler on

Bergsteigen und Fliegen – das war die Kombination, der wir damals verfallen waren. Die Flugdrachen wurden immer besser, leichter und kleiner im Packmaß. Unsere Bergdrachen, die wir auf die Bergtouren mitnahmen, hatten ein Gewicht von ca. 15 kg und eine Packlänge von 1,50 m. Ihr Gleitwinkel betrug ca. 1:3,5 – 4, das heißt bei 1 Meter sinken 3,5 – 4 Meter vorwärts gleiten. Aus diesem Grund mussten wir immer höher aufsteigen, um längere Flüge zu erzielen. Im Sommer und Herbst 1975 hatten wir bereits einige schöne Berge bestiegen und waren die ersten Menschen die von ihren Gipfeln gestartet und ins Tal geflogen waren. Wie zum Beispiel von der Gehrenspitze nach Leutasch, vom Hermelekopf nach Seefeld, von der Grawand nach Kurzras im Schnalstal, von der kleinen Ochsenwand zur Kemater Alm, von der Plose nach Brixen, vom Gerlosstein nach Hippach sowie vom Kreuzjoch nach Neustift im Stubaital, um nur ein paar Erstflüge zu nennen.

Und so kamen laut meinen Aufzeichnungen bis zum Jahreswechsel 1975/76 über 50 Höhenflüge zusammen. Die Erfahrungen wuchsen und zeigten uns auch die Grenzen des Fliegens auf. Einige Fehlstarts und Bruchlandungen waren natürlich auch dabei und so manches Mal hatte ich viel, viel Glück. Bereits im Jänner 1976 nahmen wir das Flugtraining wieder auf. Nach dem Vorbild der amerikanischen Flugdrachenpiloten stellten wir uns von der sitzenden Flugposition auf die neue liegende Position um, da die Aerodynamik und das Fluggefühl in dieser Haltung noch besser waren. Schifahren hat uns in diesem Winter so gut wie gar nicht interessiert. Das Fliegen hatte absolute Priorität. Viele wunderschöne Flüge und Erlebnisse reihten sich aneinander. Die ersten Flüge in den verschiedenen Gebieten Südtirols wie vom Doss del Sabion nach Pinzolo und vom Monte Spinale nach Madonna di Campiglio konnte ich in meinem Flugbuch verzeichnen. Am 4. Juli 1976 starteten wir mit einem abenteuerlichen Klippenstart vom Sass da Ciampac über die Südwand hinaus und flogen nach Kolfuschg (oberes Abteital in Südtirol). Ein Klippenstart bedeutet nur einen Schritt Anlauf zu nehmen und im nächsten Augenblick bereits einige hundert Meter freien Raum unter den Flügeln. Es fühlte sich, mit heutigen Worten gesprochen, absolut „cool“ an. In weiterer Folge starteten wir vom Habicht nach Neustift und erstmals vom markanten Serles Gipfel nach Mieders. Das waren unvergessliche Gefühle, die ich in dieser Zeit durchlebte.

Wolfi, Horst und Ruppi vor dem Noshaq mit Aufstiegsroute

Der Traum: An einem hohen Berg hinauf  steigen– und herunter fliegen

Inzwischen reifte in unserer Gemeinschaft die Idee, einen Siebentausender zu besteigen und mit dem Flugdrachen hinunter ins Basislager zu fliegen, um sich den mühevollen Abstieg zu ersparen. Wolfgang Nairz organisierte eine 5-wöchige Reise nach Afghanistan (damals war die Einreise noch möglich), um den höchsten Berg der Region zu besteigen.

Der 7492 m hohe Noshaq war unser Ziel. In mein Tagebuch schrieb ich Folgendes: „1. August 1976.  Flug von München – Zürich – Genf – Bagdad – Teheran – Kabul. (Damals noch eine faszinierende Stadt mit pulsierendem Leben.) Am Nachmittag Spaziergang durch die Innenstadt, schauen, staunen und wundern wie die Menschen hier leben. Rotzige Kinder, schwarz verhüllte Frauen, Eselkarren und mehr Fahrräder als Autos formen das Straßenbild. Am Abend saßen wir in einem Teppich-Basar und ließen uns die wunderbaren Stücke bei Tee oder Cola zeigen. Wir, das waren Wolfgang Nairz als Leiter der Expedition, Horst Bergmann, Helmut Hagner, Dr. Raimund Magreiter und ich, alle aus Tirol. Dazu kamen noch ein paar deutsche und holländische Bergsteiger, die im Rahmen von „Weltweit Bergsteigen“ mit dabei waren. Fünf Sherpa aus Nepal, die Wolfi gut kannte, waren auch mit dabei, da es in Afghanistan keine Hochträger gab.“

Die nächsten zwei Tage verbrachten wir mit einkaufen, Geld wechseln und Vorbereitungen für die kommende fünftägige Fahrt, mit zwei Bussen, nach Osten zum Amu Darja, dem Grenzfluß zwischen Russland und Afghanistan. Am 4. August ging die Fahrt weiter auf staubigen und schlechten Straßen von Kabul nach Kundus über den Salang Pass, weiter nach Keschem – Faisabad – Barak – Ischkaschim und Qasi Deh. Nach ca. 800 km und staubigen, hunger- und durstreichen Tagen kamen wir am 8. August am Nachmittag in dem winzigen Ort Qasi Deh an und stellten am Ortsrand unser erstes Lager auf. Einige Mitglieder unserer Gruppe hatten schon Magen- und Darmprobleme überstanden, da wir uns die letzten Tage in Garküchen der ländlichen Gebiete ernährt hatten. Die Tatsache, dass wir für den Marsch ins Basislager ca. fünfzig zusätzliche Träger benötigen würden, machte uns große Sorgen. Qasi Deh hatte aber nur ein paar wenige Einwohner.

Über Nacht geschah ein kleines Wunder: Unsere Ankunft hatte sich rasch herumgesprochen und so waren am nächsten Tag fast fünfzig Männer und Frauen aus der ganzen Umgebung zur Stelle und wollten uns helfen. Nach Aufteilung der Lasten und zähen Preisverhandlungen zogen wir los. Am frühen Nachmittag, nach ca. fünf Stunden Marsch, standen wir am Ufer des Manderas Flusses. Das Schmelzwasser war um diese Zeit viel zu hoch um durchwaten zu können, und Brücke gab es keine. Am frühen Morgen des nächsten Tages, war der Wasserstand deutlich niedriger und wir konnten den Fluss überqueren, wobei uns das Wasser immer noch bis zum Oberschenkel ging. Unsere afghanischen Träger passierten das Wasser mit panischer Angst, da keiner von ihnen schwimmen konnte. Steile, felsige Uferpassagen folgten und mussten kletternd über dem tosenden Wasser überwunden werden – für die Träger mit ihren Lasten mühsam und lebensgefährlich. Nach einem weiteren Lager erreichten wir am Nachmittag des 11. August den Platz wo das Basislager auf einer Höhe von 4500 m aufgebaut und eingerichtet wurde. Den Trägern gaben wir nur ein Teil ihres Lohns, um sicher zu stellen, dass sie auch in 2 Wochen wieder kommen würden, um uns beim Abtransport zu helfen.

Erste Testflüge in großer Höhe

Zuerst kontrollierten wir ob unsere Ausrüstung und unsere Fluggeräte den Transport heil überstanden hatten. Alles war bestens und so vergingen die nächsten Tage mit Akklimatisationstouren, Lagerkette aufbauen, Drachentransporte und erste kleine Probeflüge. Das gesellige Lagerleben mit Karten spielen, plaudern und essen kam selbstverständlich nicht zu kurz. Wichtig war es, viel Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Wir hatten ausreichend Tee, Suppen und Wasser – aber zu unserem Leidwesen hatten wir kein Bier!

Abmarsch zum ersten Höhenflug

Am 14. August 1976 war dann der erste Flugtag im Hindukusch. Das Wetter war wunderbar, doch gestaltete sich der Aufstieg sehr anstrengend, da wir die Fluggeräte selbst bis auf eine Höhe von 5700 m tragen mussten. Kurz unterhalb des Gipfels vom Korpushthe Yaki fanden wir eine geeignete Stelle für unseren Start. Es war ein horizontales kurzes Gratstück, etwas überwechtet, aber gut für unser Vorhaben. Nach dem Aufbau unserer Bergdrachen und gegenseitigen Kontrollen des Fluggerätes, suchte sich Horst Bergmann noch einen geeigneten Platz zum Filmen.

Nach Klippenstart am Korpushthe Yaki

Der Vogel wird zum Startplatz getragen 

Wolfi startete als Erster. Klippenstart! Er zog die Nase des Drachens ganz nach unten, sodass er ja nicht mit dem Ende der Kielstange den Felsen berühren würde und hechtete mit einem Schritt Anlauf in den leichten Aufwind hinaus. Er flog. Gebannt schauten wir ihm nach, wie er die ersten Schleifen über dem Manderas Gletscher flog und sich langsam dem Basislager näherte. Das war der erste Drachenflug im Hindukusch.

Dann war ich an der Reihe. Ich trug meinen Vogel vorsichtig an die Gratkante schaute rechts und links zu den Enden der Flügel, damit ich nicht streife. Das Windfähnchen an der Nase des Drachens zeigte zu mir und ich sprang genauso wie Wolfi über die ca. 300 m senkrechte Wand hinaus. Diese Art zu starten hatten wir in den heimatlichen Bergen oft geübt. Ein Fehler hier hätte schlimm ausgehen können. Leicht benommen von der Anspannung und dem Adrenalin hing ich die Füße in die hintere Verspannung ein und flog Richtung der kleinen Zeltstadt am Fuße des Berges. Es war ein traumhafter Flug, das Gefühl unbeschreiblich und die Eindrücke gewaltig: Diese Höhe, diese Umgebung. Gletscherseen, Büßerschnee-Felder und rechts über mir der 7500m hohe Gipfel des Noshaq, unser nächstes Ziel. Nach ca. 15 Minuten landete ich am schuttbedeckten Gletscher in der Nähe der Zelte. Etwas unsanft nahm mich Mutter Erde wieder auf. Meinen Landeanflug hatte ich mir, aufgrund der dünnen Luft auf 4500 m und leichtem Rückenwind, falsch eingeteilt und so ging es über das Ziel hinaus. Ich setzte im Müllhaufen auf, stolperte und kam zwischen Dosen, Flaschen und Verpackungsmaterial zu liegen. Gelächter und Spott der anwesenden Freunde begleiteten mich noch die nächsten Tage über. Einen kleinen Riss im Segeltuch des linken Flügels, der bei der Landung entstanden ist, konnte ich gut kleben und so ging das kleine Missgeschick noch einmal glimpflich aus.

Vorbereitungen am Berg

Die darauffolgenden Tage verbrachten wir mit akklimatisieren, Körperpflege, wie Haare und Bärte schneiden, und Material Transporte in die Lager 1, 2 und 3 am Noshaq. Unsere Sherpas stellten die Lager-Zelte auf der so genannten „Polen Route“ auf und die erste Gruppe war schon in Richtung Gipfel unterwegs. Am 18. August stiegen Horst, Wolfi und ich mit unseren Fluggeräten ins Lager 1 auf ca. 5500 m auf. Das Wetter war wieder gut, nachdem es am Vortag bis ins Basislager geschneit hatte. Für diese Höhe angepasst, gingen wir langsam mit unserem schweren Gepäck über Moränenrücken und später über steile Eishänge ins Lager 1. Bevor wir in unsere Daunenschlafsäcke krochen, beobachteten wir noch die Sonne wie sie in allen Rottönen hinter dem Korpushthe Yaki unterging. Nach guter, kalter Nacht ohne Kopfweh, kochten wir im Zelt Tee, frühstückten gemütlich und standen erst auf als die Sonne auf das Zelt schien.

Drachentransport bis 6000m

Aufstieg zum Lager III  7000m

 

                                          Bei herrlichem Wetter aber tiefen Temperaturen stiegen wir über steile Eisflanken mit Neuschneeauflage ins Lager 2 in 6200 m. auf. Die gute Höhenanpassung ließ uns zügig höher kommen und nach vier Stunden hatten wir die 700 H geschafft. Nach dem Ablegen der Tragekraxen, auf denen die Bergausrüstung und die Flugdrachen befestigt waren, kam Heli Hagner mit seiner Mannschaft vom Gipfel zurück. Alle hatten, trotz tiefem Neuschnee und starkem Wind, das Ziel erreicht. Nach herzlichen Glückwünschen und Händeschütteln zum Erfolg verabschiedeten wir uns von ihnen, da sie noch am selben Tag ins Lager 1 absteigen mussten. Wolfi hatte die Einteilung wie bei einer großen Achttausender-Expedition angelegt: Es steht genau fest, wann was wohin getragen wird, wer wann ins nächste Lager nachrückt oder absteigen muss. Es bedarf schon großer Erfahrung, im Voraus alles so einzuteilen, dass sich Auf- und Absteigende in den Hochlagern zur richtigen Zeit und Anzahl treffen, damit die Übernachtung im Zelt für jeden einzelnen gesichert ist.

Der nächste Morgen war wolkenlos, die Nacht sehr kalt. Damals schrieb Horst Bergmann in sein Tagebuch:

„Bei Sonnenaufgang kriechen wir aus den Zelten, Frühstücken etwas Tee und Kekse und machen uns für den Aufstieg nach Lager 3 in 6900 m Höhe bereit. Der Aufstieg setzt sich weiterhin aus steilen Eisfeldern, Graten, Büßerschnee und brüchigem, kraftraubendem Gelände zusammen. Ein beißend kalter Wind zwingt uns in Daunenjacken aufzusteigen. Ebenfalls steigen heute die Sherpas mit unseren Drachen nach Lager 3 auf. Daher haben wir nur unsere persönlichen Sachen zu tragen und kommen gut voran. Wir sind für diese Höhe schon gut akklimatisiert und so nehmen wir uns Zeit, Filmaufnahmen zu machen. Wolfi kann sich trotz seiner Daunenhandschuhe die Hände nicht erwärmen. Auch nach längerem massieren hat er noch immer gefühllose, weiße Finger und ein Abstieg zurück ins Lager 2 ist unumgänglich. Eine 90 m hohe Felswand, die mit Fixseilen versichert ist, wird überklettert. Wir helfen den Sherpas die sperrigen Drachen über die Steilstufe zu ziehen, doch es hat den Anschein, als ob die gut 1.50 m langen Stücke keinen Meter höher zu bringen wären. Endlich um 16 Uhr ist alles im Lager 3. Uns hat schon gewundert, dass die heutige Gipfelmannschaft nicht nach Lager 2 abgestiegen ist. Beim Eintreffen in Lager 3 wird es uns klar…“

Unerwartete Hilfeleistung wurde dringend nötig

An diesem Tag war die zweite Gruppe zum Gipfel aufgebrochen. Drei Holländer hatten den Gipfel erreicht, einer hatte sich aber völlig verausgabt, war auf dem Abstieg liegen geblieben und konnte mit eigener Kraft nicht mehr ins Lager 3 zurückkehren. So mussten Horst und ich nach dem mühevollen Aufstieg noch zur Rettung des Holländers aufbrechen, der ungefähr 150 m oberhalb von Lager 3 in einer steilen Eisflanke lag.

Ich schrieb in mein Tagebuch:

Nach ca. 1 Stunde waren wir bei ihm. Er war total erschöpft und murmelte vor sich hin, er will nur schlafen! Er konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten. Horst brachte ihm Tee und Medikamente für Herz und Kreislauf, die von unserem Expeditionsarzt Raimund Margreiter über Funk angeordnet wurden. Wir brachten ihn auf die Beine und sicherten ihn mit einem Seil langsam ins Lager hinunter. Es ging schon der Mond auf als wir bei den Zelten waren. Tot-müde, aber froh, dass wir helfen konnten, legten wir uns nach einer Tasse Tee in die Schlafsäcke.“

21. August früh morgens im Lager 3 auf ca. 7000 m: Nach diesen Anstrengungen am Vortag hatte ich eine unruhige, schlaflose Nacht verbracht. Die Gedanken an das Vergangene und das Kommende ließen mich nicht los und so konnte ich einfach nicht einschlafen. Mit leichtem Kopfweh stand ich auf und war froh, dass die Sonne bei klarem Wetter schon auf unsere Zelte schien.

Gipfelerfolg am höchsten Berg Afghanistans

Diese Rettungsaktion am Vortag hatte uns viel Kraft gekostet und außerdem mussten unsere Sherpas mit dem angeschlagenen Holländer absteigen. Der eigentliche Plan, dass die Sherpas mit uns zum Gipfel gehen und einen Drachen hinauf schaffen, musste fallen gelassen werden. Somit war die Chance vom Gipfel zu fliegen vorbei. Wir stiegen ohne Flug Drachen auf. Bald waren wir an der Stelle, wo unser Bergkamerad am Vorabend gelegen ist. Von da an ging der Anstieg durch eine steile Schneerinne zum Teil felsdurchsetzt hinauf zum Gipfelgrat. Bald standen wir bei herrlichstem Wetter am Gipfel des Noshaq, dem höchsten Berg Afghanistans auf 7492 m.

Die Fernsicht war grandios. Unmittelbar im Süden sahen wir den Tirich Mir: der höchste Berg des Hindukusch mit 7690m zu Pakistan gehörend. Weit unter uns im Westen der Korpushthe Yaki, den wir noch von unserem ersten Flug in bester Erinnerung hatten. Es gäbe hier heroben genug Startmöglichkeiten und auch der Wind wäre zwar stark, aber genau aus der richtigen Richtung. Schade, dass wir jetzt keinen Drachen dabei hatten, aber das Leben und die Gesundheit eines Bergkameraden stehen doch im Vordergrund. Am frühen Nachmittag erreichten wir wieder das Lager 3. Auch die nachfolgende Gruppe mit dem Arzt ist im Lager eingetroffen. Manni Magreiter brachte auch die Nachricht mit, dass Wolfi wegen der erfrorenen Finger nicht nach Lager 3 aufsteigen konnte und von Lager 2 mit seinem Drachen ins Basislager geflogen ist. Wolken verdeckten die Sicht ins Basislager und wir beschlossen, erst am nächsten Morgen zu starten. Um der Gruppe, die am nächsten Tag zum Gipfel gehen sollte, nicht im Weg zu sein, stellten wir ein kleines Biwak-Zelt auf und übernachteten in dieser Höhe ein zweites Mal. In dem engen Zelt verbrachten wir eine grauenvolle Nacht.

Das Fluggerät ist aufgebaut – bereit zum Start

Beim Startplatz nahe Lager III  7000 m

Spannung beim Start von 7000 m  zum Weltrekord-Flug

25. August: Gerädert stehen wir am nächsten Tag beim Zusammenbauen der Drachen herum. Nur schwer können wir uns auf einen fehlerfreien Zusammenbau konzentrieren. Doch um 10 Uhr sind wir so weit. Ich starte als Erster, denn so kann Horst den Klippenstart filmen. Mühsam nehme ich den Drachen auf, in das Gestänge habe ich Schlafsack und die Bergausrüstung gebunden und stapfe langsam auf die Kante des Steilabsturzes zu. Wie ein Lastensegler komme ich mir vor. Noch eine kurze Rast vor der Kante. Jede Bewegung braucht unheimlich viel Kraft und Willen in dieser dünnen Luft. Dann die letzten Schritte zur Kante, eine Kontrolle, die Windfahne passt genau, der Aufwind ist leicht.

Der letzte Schritt vor dem Klippenstart

Mit beiden Füssen stoße ich mich mit ganzer Kraft von dem Felsen ab. Jetzt oder nie mehr, schießt es mir durch den Kopf. Einige Augenblicke sause ich Kopf voraus die Felswand hinunter, bis sich die Segel mit Luft füllen, der Drachen sein Profil bekommt und erst dann ein Gleiten und Fliegen ermöglicht. Ich hänge die schweren Expeditionsschuhe in die Trapezverspannung ein, steuere mein Fluggerät hinaus in die Lüfte, weg von gefährlichen Felsen und Eiskanten. Benommen schaue ich hinunter ins Basislager das ca. 2400 Hm unter mir liegt. Es ist wie in meinen kühnsten Träumen. Ich segle über Hängegletscher, Felstürme, fliege über den Aufstiegsgrat und Lager 2 in großer Höhe dahin. Nach einigen Schleifen komme ich tiefer, fliege durch kleine Nebelfetzen, die vom Tal aufsteigen und kann die Bergkameraden beim Abstieg erkennen, die vor zwei Tagen noch mit uns im Lager 3 übernachtet haben. Wie ein Vogel ziehe ich meine Kreise über der wilden Gletscherlandschaft und nähere mich langsam meinem Landeplatz – dem Basislager.

Beim Überfliegen der Zelte winke ich überglücklich meinen Freunden zu und leite kurz darauf die Landung ein: Füße aus der liegenden Position nach unten, Trapez nach vorne, die Geschwindigkeit zurücknehmen. Langsam gleite ich über ebenen Schotter dahin und setze nach einer knappen halben Stunde Flugdauer am Boden auf. Dann trage ich mein Gerät aus dem Landebereich, hänge das Gurtzeug, in dem ich hing, aus und gehe Wolfi, den Sherpas und Lagerköchen entgegen, die klatschend und juchzend auf mich zu rennen. Die Glückwünsche und das Händeschütteln kommen von Herzen.

Gemeinsam schauten wir dann dem Flug von Horst zu wie auch er, nach gutem Start, seine Schleifen am Himmel Afghanistans zog und zielsicher in unserer Nähe landete. Wir drei Piloten waren froh, alle gemeinsam und gesund wieder im Basislager zu sein, ist uns doch eine großartige Leistung gelungen, deren glücklicher Ausgang nicht selbstverständlich war.

Zurück im Basislager auf 4500m

Zuletzt ereignete sich leider noch ein tödlicher Unfall

Unsere Freude wurde aber bald getrübt. Um 13 Uhr meldete sich unser Arzt Manni über Funk von Lager 3. Er erzählte uns vom Gipfelgang mit seiner Mannschaft, alle konnten in bester Verfassung den Gipfel erreichen. Beim Abstieg rutschte ein deutscher Teilnehmer auf einem steilen Schneefeld aus, stürzte einige Meter ab und schlug mit dem Kopf auf einem Felsen auf. Er war auf der Stelle tot. Ein Abtransport aus dieser Höhe wäre damals unmöglich gewesen und so wurde er von seinen 2 Brüdern in 7100 m Höhe in einer Gletscherspalte begraben. Dieses tragische Unglück dämpfte unsere euphorische Stimmung sehr. Die beiden Brüder des Toten waren psychisch und physisch so angeschlagen, dass sie nur mit Unterstützung der Kameraden absteigen konnten und erst nach 3 Tagen das Basislager erreichten.

Freud und Leid liegen beim Bergsteigen oft sehr eng beisammen. Innerhalb von Sekunden kann sich alles ändern. Wir kehrten zurück nach Hause mit aufwühlenden Erinnerungen an traurige, glückselige und aufregende Momente. Und wir waren stolz darauf, den damaligen Höhen-Weltrekord im Drachenfliegen aufgestellt zu haben. Heute bin ich 78 Jahre alt und wenn ich zurückblicke, dann waren wir für die damalige Zeit Pioniere des Drachenflugsports.

Categories: Höhenbergsteigen

Rupert Geiswinkler

Ich wurde am 11.Nov.1961 im Zuge der 50 Jahrfeier der Gipfelstürmer, im damali-gen Hotel Maria Theresia aufgenommen, nachdem ich von 1959- bis 1961 der Al-penvereins Jungmannschaft angehörte und schon damals mit Bergsteigen,Klettern und Schietouren begonnen habe. Im Jahre 1960 trat ich dem Österr. Bergrettungs-dienst Ortsstelle Ibk. bei, den ich nach mehreren alpinen Rettungseinsätzen im Sommer und Bereitschaftsdiensten am Birgitzköpfl, Patscherkofel und Seegrube im Winter, nach einigen Jahren wieder verließ. Meine Touren Highlight`s in den vergangenen 60 Jahren waren beim Felsklettern: Lafatscher Verschneidung,(Karwendel) Fleischbank SO.(Kaiser Geb.) Schüsselkar SO (Wetterstein Geb.) Fleischbank Verschn.(Kaiser Geb), Grundschartner N Kante, Hochferner NW. Fußstein NK.( Zillertal ), Ortiga Kante, Schleier Kante, Cimone della Pala NK, (Pala Gruppe) Schüsselkar Südwandrisse, Schüselkar Erdenkäufer Sigl, und Scharnitzspitze, Spitz-Baldauf, alle im Wetter-stein Geb. und weiters viele schöne Bergfahrten........ Beim Höhenbergsteigen gelang mir 1976 die Besteigung des höchsten Gipfels in Afganistan, der „Noshaq“ 7492 m und anschließen der erste Drachenflug aus ca.7000m ins Basislager. ( damals Höhen Weltrekord ). Weiters in den folgenden Jahren die Besteigung des „Muztag Ata“ 7450 m, mit Schie, des „Chimbo-razo“ 6310 m, „Huayna Potosi“ 6088 m, Kilimandscharo 5885 m, „Elbrus“ 5642 m, „Tamagan Peak“ 5600 m, „Vulkano Misti“5822 m, und einige mehr. Im Taurus Gebirge der Türkei sind mir einige Erstbefahrungen mit Schie gelungen, sowie viele Schietouren in den heimatlichen Bergen. Laut meiner über 60 Jahres-Tourenberichte konnte ich über 1950 Gipfel besteigen.