Jedes große Ereignis, das der schöpferischen Kraft des Menschen heischt um geboren zu werden, hat eine Vorgeschichte.

So war es mit den Sagen und harten Schicksalskämpfen umwobenen Praxmarerkarwänden.
Sie führen wohl deshalb ein Aschenbrödeldasein, einmal weil sie total abseits aller Herdenwege liegen, andererseits das ganze Bollwerk dieser Riesenflucht den finstersten Eindruck erweckt und keine Freude im Massenkletterer aufkommen lässt. Eben deshalb näherte sich diesen Wandfluchten, deren Geruch der Unbezwingbarkeit sich just in unserem Zeitgeschehen mehr und mehr verdichtete, jene Art von Bergsteigern, deren Schicksalsweg sich mit ihnen verbinden musste.

So stolperten wir eines Tages, unbewusst unseres eigentlichen Vorhabens, vom Hafelekar am frühen Sonntagmorgen jenseits hinunter, an den Grubreisentürmen vorbei, immer tiefer und jenseits hinauf zum Jägerkar. „Lei oanmol spekulieren, es isch e koa gscheit´s Wetter . . .“. Die Schinderreise zum eigentlichen Jägerkar ließ uns das „spekulieren“ vergessen; das einstmals schön angelegte Steiglein hatte sich wieder selbständig gemacht. Der Zahn der Zeit hatte es wieder harmonisch in eine Karwendelreise verwandelt; so trieben wir ein nettes Spiel, drei Schritte hinauf und wieder zurück, aber bald hatten wir uns besonnen dass unsere Ur-Ur-Ahnen alle vier Flossen verwendeten und siehe da, das nette Spiel hatte ein Ende. Zehn Uhr dreißig war es, als wir auf der Jägerkarscharte standen und dann ging es wieder jenseits hinunter, nicht einladend sah dieser Weg da hinunter aus, nach unten schien er sogar abzubrechen, aber das schien nur so, wie es halt immer ist bei diesen komischen „Wegen“ im Karwendel.

Melzer und Spöttl, zwei unvergessliche Verschworene, sie sind hineingewoben in die Geschichte um die Praxmarerkarwände. Sie waren die ersten die den Schritt wagten, von ihrem Schicksal gezwungen. Einen einsamen, heroischen Kampf kämpften die Beiden, der Berg war der Stärkere, ein grausiger Wettersturz war sein üblicher Helfer, um diese beiden Pioniere der Bergwelt zu bezwingen (1901). Mit dem großen Ereignis in der westlichen Praxmarerkarwand, das zu jener Zeit weit über die Grenzen Tirols acht Tage lang in Atem hielt, waren die Praxmarerkarabstürze neuerlich in das Blickfeld der Masse gerückt (1921).

Wieder waren es die Auserkorenen, die sich in dieses Felseneiland heranwagten, Schüle und Diem, die beiden Unzertrennlichen, trotzten der Westlichen einen Weg ab, aber es war eine Verlegenheitslösung, doch der Bann war gebrochen. Matthias Auckenthaler, der einfache Realist der Berge, er nahm den Weg der herausgeholten Erstbegeher und vollendete diesen Weg mit seinem ausgezeichneten Gefährten Hans Frenademetz. Damit wurden alle Gerüchte der Unersteigbarkeit widerlegt.

Nach einem schwachen Stündlein standen wir über dem Kar. Ganz ordentlich mussten wir uns anstrengen, um durch dieses Labyrinth von Rissen, Kaminen und brüchigen Bändern herunterzugelangen, nun trennte uns noch eine kurze Wandstelle von der Schotterreisen, ein riesiger Schneekegel bildete einen Bergschrund, und „plötzlich“, das

Die Nordwände der Östlichen und Westlichen Praxmarerkar-Spitze

Matthias Auckenthaler

Hannes Schmidhuber

faule Fundament eines jeden derartigen Entschlusses, warf ich meinen Rucksack über den Schrund hinunter und sprang demselben nach, um das lästige Abklettern zu vermeiden. Es war ein großer Denkfehler und der Schnee war bockhart, folgerichtig fingen meine Fersen nicht den Schwung auf und ganz unromantisch sauste ich mit aller Wucht in den Schotter auf einen riesigen Block zu und der folgende Zusammenprall war ein einziger großer Schmerz. Ganz klein und hässlich krümmte ich mich in Schatten des Blocks zusammen, leise sickerte das Blut durch die Hose am linken Oberschenkel.

„Ja was hasch den alleweil mit deine Hupfex, weil nia den Weg nachgian kunsch“ und dann lachte er. „Sigsch“ sagte er „i bin hintern Schnee oi und guat ischs gangen und iatz bin i a da“. Ja, wer den Schaden hat braucht . . .? Allmählich wurde es besser mit den Schmerzen, gebrochen war nix und das war die Hauptsache. Ein Notverband stellte das Bluten ein und dann versuchte ich meine ersten Schritte.

Ich hatte einmal etwas gehört von einem „Rossbiss“, so etwas ähnliches musste es gewesen sein. Nach einer Stunde war es soweit, dass der stechende Schmerz beim gehen mehr und mehr aufhörte. „Tuixl“ sag ich zum Hias „mitn probieren geht hait nix“. Zu meiner Verwunderung war er gar nicht ungehalten. „Aber lei unschaugn tian mir sie“ meinte er und stolperte weiter, ich humple hinten nach. Ich hatte keine Freude mehr fürs anschauen, ganz komisch starrte ich empor. „Ja nacher gian mir wieder hoam“ meinte er plötzlich, wieder allzuplötzlich. „I wißt eppas, gian mir die alte Routen aufi, dös pack mar leicht . . .“ Ich stotterte ganz eingeschüchtert unter der Wucht seines Entschlusses „wiaht moansch“. Es ist 14 Uhr als wir am Einstieg seiner Route hocken, über uns der blaue Himmel, das Wetter hat sich prachtvoll entwickelt.

Ein scharfes Zischen, ein Krach, mitten zwischen uns landet der Gruß von oben, ein faustgroßer Karwendelbrocken – Schwefel und Zunder ist sein Hauch, dann hauen wir ab, das Essen ist uns vergangen. „Moansch du derpackschn mitn Haxen“ meint er, ich sage „Geah lei, es muss gian“.

Die ersten Seillängen waren ernst und steil, meine ganze Kraft lag im rechten Fuß, es war keine Freude in mir, aber tapfer und verbissen folgte ich seiner nervigen Faust, die fein säuberlich das Seil einholte. Nun standen wir unter jener Höhle, eine kurze Wandstelle trennte uns noch davon, wo damals drei Menschen sechs Tage gefangen waren. Es war ein schönes, breites Band, das höhlenartig überwuchtet nach oben verlief. Also hier war es, wo drei aufgeweichte Gestalten an den Schuhriemen kauten, nachdem ihre verzweifelten Versuche scheiterten. Das alpine Rüstzeug war Ihnen ja hinuntergefallen beim Sturz des Ersten, so waren sie gefangen. Hier ließ sich gut Ruhen, mein Oberschenkel schmerzte, der ganze große Muskel war gequetscht durch den Anprall.

So sitzen wir. „Du, lass mi amal probieren“, wieder war es ein plötzlicher Entschluss, ganz komisch schiele ich ihm ins Gesicht und dann gebe ich sie ihm, meine Pfeife, fein säuberlich gestopft und dann buchelt er stoßweise, ganz komisch blickten seine Augen, wortlos reicht er sie wieder zurück, stöhnend und kotzend sitzt er da, so jämmerlich wie weiland der Junge, der die Pfeife des Vaters erwischt hat. „Siegst“ sage ich ihn nachäffend „Wennst´s rachen nit vertragst, muaßt Dir halt an Lutscher kafn“.

Ein ganz eigenartiges Dunkel wie ein ungeheurer Drache schwebte von oben wie ein eiserner Vorhang auf der Bühne, an unserer Höhle vorbei und hinunter, links und rechts, dichte Nebelfetzen schleichen über die Bänder, schmiegen sich in Risse, es regnet ganz leise, das Lachen auf unseren Lippen ist erstarrt. Ganz so muss es gewesen sein, unbewusst, instinktiv schaue ich auf unsere Schlosserei, ziehe da und dort einen Knoten fester, drücke mein giftgrünes Mephistohütchen tiefer in die Stirne. Brausendes Stöhnen jagt um die Riesenwand, es schneit feine weiße Sterne, nun fühlen wir es, jetzt gilt es den Weg durch die Hölle. Es war einer jener Wetterstürze die vom blauen Himmel jäh sich entfesselten und unbegründet, urplötzlich zu Tale rasen über die Berge und vernichten alles was fremd in dieser Welt und warmes Blut im Leibe hat.

Längst hatten wir die eigentlichen Schwierigkeiten hinter uns und befanden uns im oberen Drittel im leichteren Gelände, aber die Wand will kein Ende nehmen, die subjektiven Gefahren sind entfesselt, rasender Steinschlag zwingt uns auf den Felsenriffen zu bleiben, das Seil hat sich in ein bockstarres, weißes Gebinde verwandelt, wir hasten um unser nacktes Leben.

Es ist keine Freude in uns als wir die Gipfelfelsen fühlen, ein beißender Südwest treibt uns die letzte Wärme aus unseren patschnassen gequälten Körpern. Nur heraus, hinunter, irgendwo stolpern wir in die ungewisse Tiefe, es muss sehr spät sein, dunkle Nacht umhüllt uns, irgendwo befinden wir uns, wir wissen es, da unten brechen die Wände jäh ab, also queren wir immer noch links hinunter und wieder hinauf. Es schneit nicht mehr, dafür regnet es in Strömen, urplötzlich kauern wir uns zusammen, ein entsetzlicher Krach lasst uns erstarren. Steinschlag, nein, grelles Licht blendet zwei patschnasse Jammergestalten, grausig starren die Wände über uns im grellen Licht auf uns hernieder. Endlich fühlen wir Latschen, wir kugeln und kollern gepeitscht und gesteinigt durch diesen Latschengürtel den Tale zu. „Ein Weg“ brülle ich ganz irrsinnig vor Freude.

Ein rasender Blitz, untermalt von dem entsetzlichen Krachen und tausend Echos sah ich den Hias, er starrt mich an und ganz plötzlich fängt er an zu lachen, ganz komisch hysterisch, zeigt auf mich, Gott sei Dank vorbei ist der Spuck, überdunkel ist´s, so geblendet waren wir. Mein Gott, den hat’s, der ist jetzt übergeschnappt, ich will es sagen, aber noch hysterischer ist sein Lachen, ganz grausig und heiser klingt es.

Ich laufe und renne hinauf, da oben muss irgendwo die Pfeishütte sein, er am Seilende mit mir nach einem grausigen Spuk. Wieder kracht es, im grellen Licht sehen wir die Hütte, wieder lacht er mich an ganz narrisch. „Tuifl, Tuifl, den hats, den hats“, murmle ich vor mich hin, während ich außer Atem zur Hütte rase, es ist nur mehr der Wille in mir, er ist narrisch worden.

Ich brülle und klopfe an die Tür, endlich Gott sei Dank, es rührt sich jemand. Licht, der traute alte Hüttenwirt, mit seinen ulkigen Schnurrbart steht im Nachthemd vor mir, er kennt uns. „Ja ös“, ein Schrei einer weiblichen Stimme hinter ihm, „Jessas, jessas“ und dann schaue ich zurück, der Hiasl lacht wie narrisch. Der Hüttenwirt hilft uns die Knoten lösen, misstrauisch schaue ich den Hias an, dann sagt die weibliche Stimme zu mir „Ja Mensch, wia schaugst den du aus?“ Sehr komisch muss ich dreingeschaut haben, endlich, als sie merkt dass mir keine Leuchte wird, reicht sie mir einen Spiegel, ich pralle zurück, giftig grün starrt ein bleiches Gesicht aus diesem heraus und dann muss ich selber lachen, ich bin nur froh, dass der Hias nit narrisch war. Mein giftgrünes Mephistohütlein hat sich aufgelöst und Haare, Gesicht und Rock war alles giftgrün, im grellen Blitz muss ich ja ausgeschaut haben wie der Leibhaftige aus der grünen Jagd. Ja, nun war es mir klar, warum mich der Hias so entsetzt anstarrte und so hysterisch lachte, ich war ja nun so froh, dass dies des Alpdrucks Lösung war. Zwei Uhr morgens war es, als wir die
Pfeishütte erreichten, es war ein wüster Traum. Wie zwei nackte Neger saßen wir in Decken gehüllt um den wohligen Herd, vom braven Hüttenwirt wieder zum Leben erweckt mit einem pickfeinen Glühwein. Um vier Uhr bekam ich einen Rippenstoß. „Pfiat di, des Soal und die Haggl nit vergessen“, dann war ich wieder im Traumland der giftgrünen Reiter.

Um sechs Uhr schritt ein schwarzer Schornsteinfeger, die Leiter geschultert, durch die Höttingergasse hinauf, die Augen lagen etwas tiefer als sonst, zu seinen Frauelen, deren erklärter Liebling er immer war. Sein Pflichtbewusstsein war zu seinem zweiten ich geworden.
(Hannes Schmidhuber)

Die Nordwand mit den zwei Routen von Auckenthaler. Links der Anstieg auf den Ostgipfel von 1935 mir Hannes Schmidhuber, rechts der Anstieg auf den Westgipfel von 1931 mit Hans Frenademetz.

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